Hier ist die Internats-Schülerin Helena Schubert zu sehen, die an einem Schuhschrank arbeitet.

MEDIZINISCH-THERAPEUTISCHE ANGEBOTE – MITERLEBT


Mehr als nur Therapieren ...

MITERLEBT: Viele Klienten der Blindeninstitutsstiftung haben Logopädie, Physio- und Ergotherapie. Warum die Therapien für sie wichtig sind, auch wenn es nicht immer nur bergauf geht, erzählen drei Schüler aus München.

Von Martina Häring

Helena Schubert (19) und Stefan Sentschuk (19) sind Internats-Schüler im Blindeninstitut München. Zurzeit sind sie nachmittags oft mit einem Gemeinschaftsprojekt der Ergotherapie und Logopädie beschäftigt: Sie bauen einen Schubladenschrank für ihre Wohngruppe auf. Dass bei der Ergotherapie Gebrauchsgegenstände entstehen, kommt öfter vor. Ein anderes Mal war es ein Blumentopf aus Beton, den die Schüler gemacht haben. Das Besondere bei diesem Projekt ist, dass sowohl sprachliche Kompetenzen als auch Handlungsfähigkeit trainiert werden: Die verschiedenen Arbeitsschritte werden besprochen und geplant, danach kommt die praktische Ausführung. Helena Schubert hat Logopädie, Ergo- und Physiotherapie. Die Therapien finden mehrmals wöchentlich nachmittags im Blindeninstitut statt. 14-täglich fährt sie mit dem Bus zum Reiten. Stefan Sentschuk hat Logopädie und Ergotherapie. Auch er geht regelmäßig reiten. Die Physiotherapie braucht Helena Schubert, um ihren Rücken zu stärken, da sie eine Skoliose – also eine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule – hat. Um Feinmotorik geht es in der Ergotherapie. Hier trainiert sie gezielt ihre Finger, zum Beispiel mit Therapieknete. Therapien tun gut und machen Spaß Ein Gerät aus der Physiotherapie, das sie besonders gern mag, ist der „Galileo“: Um es vorzuführen, zieht sie ihre Schuhe aus und stellt sich auf die Platte, die auf Knopfdruck zu vibrieren beginnt. Nun wird sie ordentlich durchgeschüttelt. „Das tut gut!“, ruft sie begeistert aus.

Stefan Sentschuk ist auf diesem Bild zu sehen

Der 19-jährige Stefan ist handwerklich geschickt. Möbel-Aufträge für seine Wohngruppe erledigt er deshalb besonders gerne.

Die Physiotherapeutin korrigiert zwischendurch ihre Haltung: Die Knie müssen leicht gebeugt sein. Die Vibration hat positive Effekte auf die Muskulatur. Und offensichtlich ist das Ganze auch angenehm. Überhaupt geht Helena Schubert gerne zu ihren Therapien: „Manchmal ist es anstrengend, aber es macht alles Spaß.“ Ein besonderes Highlight ist das Reiten. Anfangs als therapeutisches Reiten, inzwischen als Reitunterricht mit den beiden Pferden Szundi und Sternchen. „Ich reite genau wie ein Profi“, sagt Stefan Sentschuk. „Ich auch“, pflichtet Helena Schubert ihm bei. Das Reiten tut ihrem Rücken und ihren Füßen gut. Und natürlich haben die beiden auch eine persönliche Beziehung zu den Tieren aufgebaut. Stefan Sentschuk mag es am liebsten, wenn er Möbelbau-Aufträge von seiner Wohngruppe bekommt: „Ich mache das genau wie ein Fachmann“, sagt er. Auch in seinem eigenen Zimmer steht eine ganze Reihe von Möbeln, die er selbst aufgebaut hat: ein Schuhregal und ein Tisch zum Beispiel. „Als du neu warst, warst du ganz still und hast nie was geredet“, erinnert sich Helena Schubert. Die deutliche Aussprache habe er in der Logopädie gelernt.

Hier ist Helena auf der vibrierenden Platte zu sehen. Unterstützt wird sie von ihrer Therapeutin.
Hier ist ein Nahaufnahme von Helena.

Helenas Favorit in der Physiotherapie: der „Galileo“. Die vibrierende Platte fühlt sich nicht nur gut an, sondern wirkt sich auch positiv auf Helenas Muskulatur aus.

Geduld, Feingefühl und Spezialwissen sind gefragt Große Fortschritte seien allerdings nicht die Regel, erklärt die Logopädin Annette Dürr. Als Logopäde, Ergo- oder Physiotherapeut in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung zu arbeiten, bringt besondere Herausforderungen mit sich. Dass die meisten Klienten nicht nur eine Sehbehinderung, sondern auch noch andere, oft auch kognitive Einschränkungen haben, erschwert das Training. Ein Kommando wie zum Beispiel „die Zunge mit den Zähnen festhalten und dabei schlucken“ könne man vielen Klienten nicht geben. „Am Anfang ist oft viel Hoffnung da“, sagt Martin Kraus, Therapieleiter München. Zwar gebe es Fälle, wo sich etwas verbessert. Aber man muss viel Geduld haben: „Wer eine schnelle Rückmeldung braucht, ist hier nach zwei Jahren wieder weg“, so seine Erfahrung. „Wir heilen nicht, wir begleiten“, so Kraus. Mit den Klienten über lange Zeit hinweg eine Beziehung aufbauen zu können, sei aber auch ein sehr schöner Aspekt. Verbale Rückmeldungen sind nicht die Regel Schüler wie Stefan Sentschuk und Helena Schubert sind das eine Ende eines breiten Spektrums und nicht unbedingt typisch für das Blindeninstitut. „Es ist nicht die Regel, dass wir bei den Therapien verbale Rückmeldungen bekommen“, sagt Annette Dürr. Sie hat vielmehr gelernt, aus Atmung, Körpersprache und -spannung abzulesen, ob sie mit ihren Übungen richtigliegt: „Man braucht Feingefühl und Kenntnisse über die besondere Wahrnehmungssituation der Klienten.“ Für die Arbeit am Blindeninstitut reicht das Ausbildungswissen oft nicht aus. Aufwendige Zusatzqualifikationen müssen erworben werden. Die Einarbeitungszeit beträgt nicht selten bis zu einem Jahr. Das gängige Diagnostikmaterial kann so meist nicht eingesetzt werden und aus den üblichen Therapiekonzepten kann man nur einzelne Bausteine entnehmen. Selten funktioniert ein Konzept als Ganzes. Auch alternative Kommunikationsformen sind ein wichtiges Thema. Es beginnt bei unterstützender Gebärdensprache für sehende Kinder, die das Sprachverständnis verbessert, und geht bis zu einer App auf dem iPad, die per Augenbewegung gesteuert werden kann – etwa um Selbstwirksamkeit zu erleben oder sich zwischen zwei Dingen entscheiden zu können.

Auf diesem Bild ist der lachende Viet zu sehen, der mit einem Ball spielt.

Viet gibt gerne Kommandos Auch der 18-jährige Viet Truong, der sich nicht verbal äußern kann und motorisch stark eingeschränkt ist, nutzt Unterstützte Kommunikation, der Therapeut legt verschiedene Gegenstände vor ihn hin. Schafft er es, dass sie lautstark zu Boden fallen, muss Viet Truong lachen. Nach einer Weile und verschiedenen anderen Übungen sind seine Arme und Hände deutlich weniger angespannt. Das ist nicht nur ein gutes Zeichen, sondern auch wichtig, damit er sich seine Beweglichkeit erhält. Um ihn befragen zu können, haben seine Therapeuten einen sogenannten Talker mit Antworten auf vorher festgelegte Interviewfragen besprochen. Auf die Frage, ob er gesiezt oder geduzt werden möchte, hat er die Möglichkeit, über zwei verschiedene Buttons mit Ja oder Nein zu antworten. Die Antwort – er möchte geduzt werden – kommt zögerlich und braucht Unterstützung durch die Therapeuten. Zugegeben: Ob die Entscheidung nun bewusst oder Zufall war und ob die Antworten, die der Talker ausgibt, tatsächlich das wiedergeben, was Viet sagen möchte, weiß man nicht so genau. „Das ist aber nicht entscheidend“, erklärt Annette Dürr. Zunächst geht es darum, dass er ein Interview geben und in einem Zeitungsartikel zu Wort kommen kann. Viet Truong hat Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie. Er mag es, wenn sein Therapeut viel Zeit für ihn hat, und übt dann, zu stehen, Gegenstände zu erfühlen und selbst Kommandos zu geben. „Ich höre am liebsten spannende Geräuschebücher an oder sage anderen, was sie tun sollen“, sagt Viet Truong. Und langweilige Bücher und anstrengende Bewegungen findet er nicht so toll.

Hier ist ein Bild von Viet Truong, zusammen mit seinem Therapeuten, der seine Hand hält.

Viet Truong genießt es besonders, wenn sein Therapeut viel Zeit für ihn hat.

„Ich höre am liebsten spannende Geräuschebücher an und sage anderen, was sie tun sollen.“
Viet Truong