

RIESENGEWINN FÜR DIE REGION
Vorgestellt: Beratungsstelle „Sehen – INKLUSIV“ begleitet mehr als 100 Kinder und Jugendliche. Von Pat Christ
Sie helfen vom ersten Schultag an, vor allem aber unterstützen sie an der Schnittstelle von Schule und Beruf: Seit 35 Jahren begleitet die Beratungsstelle „Sehen – INKLUSIV“ sehbehinderte Kinder und Jugendliche, die in Regelschulen inklusiv beschult werden. Mehr als 100 junge Menschen sind das aktuell. Anke Spiegel-Vogelsang, Ines Körner und Fabian Horn von der psychosozialen Einrichtung des Blindeninstituts organisieren zudem Gruppenangebote für Schüler, Lehrkräfte sowie für Eltern. Dabei arbeiten sie eng mit dem „Mobilen Sonderpädagogischen Dienst Sehen“ (MSD) zusammen.
Sie betreuen zum Beispiel Kinder, die nur stark eingeschränkt oder gar nicht sehen können und dennoch ihre Schulzeit in der Regelschule absolvieren. Diese Kinder kommen gut mit ihren Klassenkameraden klar, bewältigen den Unterrichtsstoff und finden nach dem Schulabschluss einen Beruf, der zu ihnen passt. Im Laufe der Zeit gibt es jedoch für die meisten Kinder mit einer Sehbehinderung Situationen, in denen sie sich nicht alleine zu helfen wissen.
So ist das auch bei Lukas (Name geändert). Der Zehnjährige ist in der dritten Klasse und hat große Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Er wirkt oft unkonzentriert und überfordert, sowohl im Unterricht als auch mit dem wilden Gewusel in seiner Klasse. Seine ständige Anspannung scheint zu verhindern, dass sich Lukas für soziale Kontakte öffnen kann. Bei der Suche nach möglichen Ursachen und Unterstützungsangeboten konnte der Psychologe im Team, Fabian Horn, entscheidende Hinweise geben. Nach mehreren Beratungsgesprächen, an denen sowohl die Eltern als auch die Lehrkräfte von Schule und MSD beteiligt waren, wurde klar, dass Lukas mit seinen kognitiven Fähigkeiten in die Schule passt. Der zeitweise Einsatz einer Schulbegleitung unterstützte ihn aber dabei, sich besser auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren, sich zu organisieren und wieder Freude am Schulalltag zu erleben. Die Vermittlung in die weiterführende Diagnostik half entscheidend, die Förderung des Jungen zu verbessern.
Bei aller pädagogischen Versiertheit ist es für Lehrerinnen und Lehrer oft nicht so einfach, mit Kindern umzugehen, die eine Behinderung haben. Inklusion ist zwar auch Thema der Ausbildung. Ausreichend behandelt werden kann es aber nicht. Dafür ist es zu vielschichtig: Das eine Kind weist ein Defizit an Konzentration auf, das andere hat gravierende emotionale Probleme. Das dritte, wie Lukas, eine Sinnesbehinderung. Kaum ein Lehrer kann in Bezug auf alle diese Förderbedarfe firm sein. Darum wird die Beratungsstelle „Sehen – INKLUSIV“ von Schulen in der Region als Gewinn angesehen.
Soll ich Pflegekraft werden? Soll ich in die Industrie gehen? Würde mir ein Handwerk liegen? Viele Jugendliche, egal ob mit oder ohne Einschränkung, sind ratlos, wenn sie sich dem Ende ihrer Schullaufbahn nähern. In dieser Situation war auch der heute 21-jährige Tim (Name geändert).
Eine Berufstätigkeit in der IT, dachte der Jugendliche, wäre interessant. Allerdings stellte sich heraus, dass seine Fähigkeiten in wichtigen Bereichen dafür noch nicht ausreichten. In Tims Fall ging es vor allem darum, seine Wünsche mit der Realität in Deckung zu bringen. „Kinder und Jugendliche mit Sehbehinderung wachsen oft sehr beschützt auf“, erklärt dazu die Sozialpädagogin Ines Körner. In der Regel werden ihnen während der Schulzeit viele Aufgaben abgenommen, die sie nach der Schule plötzlich selbständig bewältigen müssen.
Der Übergang ins Berufsleben stellt für sie aus diesem Grund in noch höherem Maße eine Wendezeit dar als für Teenager ohne Behinderung. Ebendas erlebte Tim. Nach vielen Beratungsgesprächen gelang es, den Jugendlichen davon zu überzeugen, nicht sofort nach der Schule den Start in eine Ausbildung zu versuchen. Tim befindet sich derzeit in der Berufsvorbereitung, in der er Zeit hat, sich besser für kommende Herausforderungen zu rüsten. Sein weiterer Weg bleibt spannend.

Anke Spiegel-Vogelsang, Ines Körner und Fabian Horn von der Beratungsstelle „Sehen – INKLUSIV“ betreuen Kinder, die trotz Einschränkungen ihre Schulzeit in der Regelschule absolvieren.