Zum Inhalt springen
Eine erwachsene Frau mit Brille und kinnlangen Haaren beugt sich freundlich zu einem Jungen. Der Junge hat ein Cochlea-Implantat am Ohr und scheint sehbehindert oder blind zu sein. Er lächelt leicht und trägt ein blaues T-Shirt mit schwarzen Streifen. Beide befinden sich in einem freundlichen Raum, vermutlich einem Klassenzimmer oder Förderraum. Die Frau unterstützt den Jungen bei einer Aufgabe. Die Szene wirkt ruhig, wertschätzend und aufmerksam

Unsere Kernkompetenz Taubblindheit

Wenn zwei Sinne gleichzeitig ausfallen: Wie wir hörsehbehinderte und taubblinde Menschen unterstützen

Unsere Welt kaum oder gar nicht sehen und hören zu können, ist für viele von uns nur schwer vorstellbar. Wie fühlt es sich wohl an, sich auf den Seh- und Gehörsinn nicht verlassen zu können? Wie können wir unsere Umgebung wahrnehmen, wie mit anderen Menschen interagieren? Hörsehbehinderten und taubblinden Menschen ist es kaum oder gar nicht möglich, einen der beiden Sinne so einzusetzen, dass sie damit die Beeinträchtigung des anderen Sinns voll kompensieren können. Deshalb müssen sie sich stärker als andere auf ihre Nahsinne konzentrieren, auf ihren Tastsinn etwa, oder ihren Geruchs- und Geschmackssinn.

In unseren Blindeninstituten gibt es Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die zusätzlich zu einer Sehbehinderung oder Blindheit auch eine Hörschädigung haben. Die Beeinträchtigung beider Sinne addiert sich nicht, sondern es entsteht eine eigenständige, komplexe Behinderung. Daher begleiten wir unsere hörsehbehinderten und taubblinden Klient*innen mit speziellen Konzepten, die ihre Behinderungsart, ihren Behinderungsgrad, den Zeitpunkt des Auftretens, ihr Alter, ihre Persönlichkeit, ihre Interessen und ihre Kommunikationsfähigkeit berücksichtigen.

Wir unterstützen sie mit dem Selbstverständnis, dass sie sich ebenso wie alle anderen Menschen entwickeln. Nach dem Prinzip des natürlichen Lernens schaffen wir eine interessante und motivierende physische und soziale Umgebung. Dabei passen wir die Umgebung an die Auswirkungen der jeweiligen Seh- und Hörbeeinträchtigungen an, so dass unsere Klient*innen die für sie besten Wahrnehmungsbedingungen vorfinden.

Nach intensiver Diagnostik erstellen wir ein individuelles Unterstützungs- und Förderkonzept für alle Lebensbereiche, das sich an den Fähigkeiten und Bedarfen jedes hörsehbehinderten oder taubblinden Menschen ausrichtet. Daher versuchen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, ihr Seh- und Hörvermögen zu fördern. Wir motivieren sie, Seh- und Hörhilfen zu nutzen, passen zeitliche und örtliche Strukturen an und ermöglichen häufig eine Eins-zu-eins-Begleitung. So können sie in ihrem Tempo Räume und Objekte erschließen und sich eine Vorstellung von ihren Mitmenschen, Ereignissen und ihrer Umwelt machen.
Ein Junge mit Taubblindheit sitzt auf einem Stuhl und lächelt sanft. Er trägt ein blaues, gestreiftes Langarmshirt. In seiner einen Hand hält er einen Kuscheltier-Elch, den er ertastet. Eine erwachsene Hand führt vorsichtig die Finger seiner andere Hand – wahrscheinlich zur Unterstützung beim Erlernen von taktiler Kommunikation oder Gebärdensprache. Im Hintergrund sind unscharf Gegenstände wie Äpfel und bunte Schnüre zu erkennen. Die Szene wirkt warm und einfühlsam.

Hören ist ein komplexer Vorgang

Das Hören ist der erste Sinn, mit dem wir unsere Umwelt wahrnehmen. Bereits ab der 22. Schwangerschaftswoche können Embryos Töne registrieren und Stimmen unterscheiden. Der Hörsinn hat nicht nur Auswirkungen auf Rhythmusgefühl und Spracherlernung, sondern auch auf Gleichgewichtssinn und Orientierung. Um zu hören, müssen feinste Knöchelchen, Haar- und Nervenzellen im Ohr zusammenarbeiten.

Ein Kind mit einem Cochlea-Implantat sitzt an einem Tisch und schaut auf ein Tablet, auf dem Symbole und Bilder zu sehen sind. Vermutlich handelt es sich um eine unterstützende Kommunikations-App. Im Hintergrund ist eine erwachsene Person zu erkennen, die auf das Tablet zeigt. Auf dem Tisch, auf dem das Tablet steht, sitzt außerdem ein Stofftier. Die Szene wirkt wie ein inklusives Lern- oder Therapieumfeld, in dem das Kind mithilfe digitaler Hilfsmittel kommuniziert.

Kompetenzfeld Sehen

Mehr als 80 Prozent unserer Umwelt nehmen wir über die Augen wahr. Damit ist das menschliche Auge unser wichtigstes Sinnesorgan. Es ist unsere Kamera, mit der wir unsere Umgebung entdecken, uns orientieren und uns bewegen. Es ist unser Scanner, mit dem wir nicht nur Wissen aufnehmen, sondern auch die Gefühle unseres Gegenübers erfassen können

In einem dunklen Raum sitzt ein kleines Mädchen im Rollstuhl. Vor ihm kniet ein Mann, der einen Glitzerstab mit Bändern in der Hand hält. Das Mädchen greift nach den Bändern und lacht.

Kompetenzfeld Kommunikation

Wir sind umfassend geschult in den Bereichen nonverbale Kommunikation auch bei blinden/sehbehinderten Menschen, da dies den Grundpfeiler unserer Arbeit darstellt.

Auf einem Schultisch steht ein rosafarbiges Tablet, auf das eine Schülerin blickt. Auf dem Bildschirm sind verschiedene Symbole und Grafiken zu sehen.

Kompetenzfeld komplexe Behinderung

Menschen mit Komplexer Behinderung haben ein hohes Risiko, ausgegrenzt zu werden und sind besonders abhängig von anderen Menschen, da sie meist über kein aktives Sprachvermögen verfügen und sich überwiegend körpersprachlich ausdrücken. Die unterschiedlichen Behinderungen greifen ineinander und wirken zusammen, sodass jeder Mensch Situationen ganz individuell erlebt. Ihre Bedürfnisse unterscheiden sich kaum von denen anderer Menschen, dennoch benötigen sie für ein selbstbestimmtes Leben einfühlsame Begleitung.

Ein Mädchen läuft mithilfe einer Gehhilfe.

Welche Arten von Taubblindheit und Hörsehbehinderung haben unsere Klient*innen?

Das Hörvermögen der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in den Blindeninstituten variiert von leichtgradig bis Taubheit, auf einem oder beiden Ohren; das Sehvermögen von leichter Sehbehinderung bis Blindheit. Alle Kombinationen beider Sinneseinschränkungen sind möglich. Und sie variieren stark: So gibt es beispielsweise die einseitige, leichte Hörbehinderung in Kombination mit Blindheit, eine leichte Sehbehinderung mit Taubheit oder eine Gesichtsfeldeinschränkung mit mittelgradiger Hörschädigung.

Zusätzlich unterscheiden wir nach dem Zeitpunkt der Behinderung: Ist sie angeboren oder später erworben, verschlechtert sie sich schnell, schleichend oder gar nicht? Manche unserer Klient*innen haben auch eine Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung: Sie können auditive und visuelle Informationen zerebral nicht oder nur erschwert verarbeiten und umsetzen.

Was das Kompetenzfeld Taubblindheit umfasst

Wir verfolgen einen holistischen Ansatz und legen unsere Angebote auf eine langfristige Perspektive hin an. Wir möchten unseren Klient*innen Sicherheit und Kontrolle geben. Sie sollen sich sozial eingebunden und ihre Fähigkeiten bestärkt wahrnehmen. Dafür begleiten wir sie in diesen Kompetenzfeldern:

Diagnostik

  • Orthoptische Diagnostik
  • Audiologische Diagnostik (mit Partnern)

Kommunikation und Interaktion

  • Co-Creating-Communication-Ansatz
  • Taktile und haptische Kommunikation
  • Soziale Beziehungen
  • Spezifische Kommunikationsmittel

Taubblindenspezifische Techniken

  • Orientierung und Mobilität
  • ​Förderung lebenspraktischer Fähigkeiten

Wie wir methodisch vorgehen

Schon beim Erstkontakt beobachten wir, über welche Kompetenzen unsere zukünftigen Klient*innen verfügen und sammeln Informationen darüber. Zeitnah nach der Aufnahme in die Blindeninstitutsstiftung führen wir eine ausführliche Diagnostik durch, die sich an ihren Fähigkeiten orientiert. Diese Erfassung wiederholen wir in regelmäßigen Abständen.

Die Ergebnisse nutzen wir für die gezielte Förder- und Alltagsplanung. Wir möchten die kommunikativen und lebenspraktischen Fähigkeiten der hörsehbehinderten und taubblinden Menschen weiterentwickeln und bilden ein Umfeld, das an die Potenziale der jeweiligen Person anknüpft und so das selbstbestimmte Leben unterstützt.

Die Blindeninstitutsstiftung sorgt dafür, dass die Kernkompetenz Taubblindheit weiter gestärkt wird. Wir schulen bei Bedarf unsere Mitarbeitenden im Umgang mit unseren Klient*innen, stellen notwendige Hilfsmittel bereit und schaffen spezielle Strukturen, um den interdisziplinären Austausch zu intensivieren.
Mehrere Personen, darunter ein Kind im Vordergrund, halten gemeinsam einem Hula Hoop  aus Holz fest. Das Kind trägt ein blaues Shirt mit dunklen Streifen. Nur die Hände und Arme der anderen Personen sind sichtbar. Sie sitzen auf Stühlen. Die Szene wirkt wie ein Gruppenspiel oder eine gemeinsame Aktivität, bei der Koordination und Zusammenarbeit gefragt sind. Eine erwachsene Hand mit Armbanduhr unterstützt das Kind beim Halten des Hula Hoops.

Wie wir unsere Qualität sichern

Die Blindeninstitutsstiftung verbindet in einem Qualitätszirkel Taubblindheit die Qualitätsbeauftragten, die in den einzelnen Blindeninstituten für Hörsehbehinderung und Taubblindheit verantwortlich sind. Sie analysieren fachliche Entwicklungen und Initiativen in den einzelnen Instituten, führen stiftungsweite Prozesse zusammen und entwickeln die Kernkompetenz Taubblindheit – auch durch den Austausch in deutschlandweiten Netzwerken für taubblinde Menschen – stetig weiter. Der Qualitätszirkel vernetzt sich mit anderen Einrichtungen, koordiniert Fortbildungsangebote und erstellt Infomaterial für alle Mitarbeitenden.

Wir qualifizieren Mitarbeitende, die unsere taubblinden und hörsehbehinderten Klient*innen begleiten. Die Fortbildungen umfassen Basiswissen aus den Bereichen Sehbehinderung oder Blindheit und Kommunikation, lebenspraktische Fähigkeiten und Orientierung und Mobilität. Darüber hinaus gibt es in jedem Blindeninstitut Expert*innen, die ihr Fachwissen zum Thema Taubblindheit bei Bedarf teilen.

Taubblindheit ist ein verbindliches Thema in allen mitarbeiterbezogenen Aktivitäten wie Mitarbeitergesprächen, Leitungsrunden und Fortbildungsplanung. Taubblindheit als Kernkompetenz betrifft alle Ressorts und ist interdisziplinär verortet. Gerade weil die Kommunikation mit hörsehbehinderten und taubblinden Menschen nicht im gleichen Maß auf visuelle und verbale Formen zurückgreifen kann, ist es besonders wichtig, dass sich unsere Mitarbeitenden mit den anderen Kommunikationsformen beschäftigen. Daher gibt es auch große Schnittstellen zum Qualitätszirkel Kommunikation.

Wo es mehr Informationen gibt

Wenn Sie mehr über Hörsehbehinderung und Taubblindheit erfahren möchten, empfehlen wir diese Bücher und Internetseiten:
  • Keesen, E. (2018): Angeborene Taubblindheit und die Konstruktion der Welt – Psychische Grundbedürfnisse in subjektiven Lebensräumen. Würzburg: Edition Bentheim
  • Wanka, A. & Junghans, C. (Hrsg., 2014): Jugendliche und Erwachsene mit CHARGE-Syndrome. Heidelberg: Median-Verlag von Killisch-Horn.
  • Horsch, U. & Wanka, A. (Hrsg., 2012): Das Usher-Syndrom – eine erworbene Hörsehbehinderung. Grundlagen – Ursachen – Hilfen. München: Verlag Ernst Reinhardt.
  • Lemke-Werner, G. & Pittroff, H. (Hrsg., 2009): Taubblindheit / Hörsehbehinderung – ein Überblick. Würzburg: Edition Bentheim.
  • Rødbroe, I., Janssen, M. & Souriau, J. (Hrsg., 2014): Kommunikation und angeborene Taubblindheit (Booklets I-IV). Würzburg: Edition Bentheim und Werk St. Franziskus Heiligenbronn.
  • Website der Arbeitsgemeinschaft der Einrichtungen und Dienste für taubblinde Menschen (AGTB): www.agtb-deutschland.de
  • Deafblind International (DbI): www.deafblindinternational.org
  • CHARGE Syndrom e.V.: www.charge-syndrom.de/
  • Kontaktil: www.youtube.com/watch?v=zxXeNJu112c